Sie
sind es nicht -
Über das Phänomen PEGIDA
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Wer einen Engel sucht und nur auf die Flügel schaut, könnte eine Gans nach Hause bringen.
Georg Christoph Lichtenberg;
deutscher Schriftsteller
Schon
der Name dieser sog. Bewegung ist verdächtig: Während es noch
angehen mag, dass es patriotische Europäer gibt, ist es doch völlig
irreführend, implizit zu behaupten, dass eine Islamisierung im Gange
sei… Dass die Leute außerdem vorgeben das gesamte Abendland zu
vertreten, grenzt an Größenwahn.
Dennoch, jeden Montag versammeln
sich in Dresden und anderen deutschen Städten Tausende, mit der
Absicht, die (nicht stattfindende) Islamisierung
des (gesamten) Abendlandes zu verhindern. Die Veranstalter, allen
voran ein gewisser Lutz Bachmann, nennen diese Veranstaltungen
„Spaziergänge“ und demonstrieren mit dem Ruf „Wir sind das
Volk“. Auch das ist ganz falsch, denn was da somit spazieren geht,
ist nicht das Volk.
Daraus
ergeben sich die Fragen, je wer geht da eigentlich auf die Straße
und wer organisiert das? Nun, augenscheinlich sind das mehrheitlich
ganz normale junge und alte Menschen, die sich – eher leise und
bescheiden, fast ängstlich – hinter den Parolen gegen den Islam,
gegen Muslime, gegen Asylsuchende oder, ganz allgemein, gegen Andere
versammeln. Erst bei näherem Hinschauen wird deutlich, dass es nicht
diese Leute sind, die den Takt vorgeben, die Ordner stellen, die
Reden halten.
Viele
von denen, die in Dresden den Ton angeben, sind, lt. der örtlichen
Polizei, stadtbekannte Hooligans (Dynamo Dresden), die von Anfang an
bei PEGIDA mitmischen. Einige von ihnen sind auch bei HOGESA, also
„Hooligans gegen Salafisten“, die vorgeben gegen Salafisten zu
sein, aber eigentlich gegen alle Muslime, gegen Fremde und
Flüchtlinge und gegen „die“ Politik sind.
Stadtbekannte,
in
rechtsextremen Parteien oder Organisationen organisierte, schlicht
rassistisch-reaktionäre Leute schwingen Reden, nutzten
die Demos bewusst, um fremdenfeindliche Ressentiments zu schüren,
angebliche Kriminalität von Ausländern in Deutschland anzuprangern
oder auch gerne mal von einem zukünftigen Christstollenverbot, die
Umbenennung von Weihnachten in Winterfest oder einer Burka-Pflicht
für sächsische Frauen zu schwadronieren.
Diese rechts-populistische
Agitation ist bei vielen Teilnehmern gar nicht nötig, denn die sind
längst fremdenfeindlich und nehmen teilweise lange Anfahrtswege nach
Dresden in Kauf, um ihrem
Gemeinschaftshasserlebnis zu frönen. Siehe Anhang *1)
Diffamierung
ersetzt nicht die politische Auseinandersetzung
Diese
Teilnehmer stört es auch nicht, dass der Wortführer von PEGIDA Lutz
Bachmann, der sich selbst gerne in der Bürgerlichen Mitte verortet
(was allerdings eine abenteuerliche Bezeichnung ist), höchst selbst
nicht die strengen moralischen und rechtlichen Kriterien erfüllt,
die er für die Asylsuchenden fordert. Mir liegt es fern, PEGIDA
anzugreifen in dem ich ihn als Person in ein schlechtes Licht rücke
(was leicht möglich wäre – siehe Anhang *2).
Da er ja ständig
vom Christlichen Abendland spricht, zitiere ich mal einen Bibelstelle
„an ihren Taten sollt ihr sie erkennen“ und um die wahre
Geisteshaltung dieses Menschen zu zeigen, füge eine Äußerung aus
seinem Twitter-Profil bei. Dort ist unter anderem über die „Grünen“
zu lesen: "Gehören standrechtlich erschossen diese
Öko-Terroristen! ... allen voran Claudia Fatima Roth!" Für
diesen Tweet hat sich Bachmann inzwischen zwar entschuldigt, aber
gelöscht hat er ihn nicht!
Für
Ideologen sind Fakten eher störend
Für
die Organisatoren, die Redenführer und Hintermänner (auch für die
latent rechtslastigen Mitläufern) spielt es keine Rolle, ob die
Faktenlage, ob die Wirklichkeit zu ihren kruden Ansichten passen oder
nicht. Es spielt somit auch keine Rolle, mit ihnen darüber zu
diskutieren, da sie gar nicht bereit sind ihr Weltbild zu
korrigieren.
Die Fakten zu nennen ist höchstens für jene Mitläufer
guten Willens hilfreich, die klammheimlich vor den Karren dieser
Rechtpopulisten haben spannen lassen oder gespannt werden. Und hier
beginnt die wirklich wichtige politische Auseinandersetzung mit
diesem Phänomen. Ich möchte kurz auf die wichtigsten sog.
Botschaften, bzw. sog. Forderungen eingehen und verweise gleichzeitig
auf eine ausführliche Fassung (siehe Anhang *3):
- Deutschland wird zunehmend islamisiert. Ich möchte nicht, dass meine Enkel im Islam aufwachsen.
Das
wird eh nicht geschehen, denn nach demographischen Studien wird,
selbst bei weiterer Einwanderung aus muslimischen Ländern, der
muslimisch geprägte Bevölkerungsanteil nicht über 7% steigen.
- Radikale Salafisten bedrohen unsere Gesellschaft.
Ja,
Radikale bedrohen die Gesellschaften in denen sie leben… also alle
Radikale; nicht nur muslimische. Nach Aussagen der muslimischen
Organisationen die mit dem Bundes Innenministerium zusammen arbeiten,
ist der Anteil radikaler Salafisten in der muslimischen Gemeinde
geringer, als der Anteil radikaler Hooligans in der Fußball-Fanszene.
Vor wem muss man also Angst haben…
- Während Flüchtlinge in hotelähnlichen Heimen mit „Vollversorgung“ untergebracht werden, müssen deutsche Rentner hungern
Klar,
durch die sog. Reformen am Arbeitsmarkt ist die Altersarmut gestiegen
und fast eine halbe Million alte Menschen leben am sog.
Existenzminimum (neben Miete und Heizung, werden 391 € ausgezahlt);
was allerdings nicht die Asylsuchenden verursacht haben. Die
Unterbringung ist alles andere als „hotelähnlich“.
- Das deutsche Recht ist straffälligen Ausländern und Asylbewerbern gegenüber zu lasch
Das
grundfalsch. Das Deutsche Recht bedroht jeden Ausländer mit
Ausweisung. Allerdings ist Deutschland ein Rechtsstaat (und das soll
er auch bleiben) und jedem hier lebenden Menschen steht der Rechtsweg
offen. Wenn die Verfahren zu lange dauern, dann liegt es daran, dass
die Deutsche Gerichtsbarkeit personell unterbesetzt ist; was die
Asylsuchenden auch nicht zu verantworten haben. Außerdem sie lt.
Kriminalstatistik Ausländer nichtkrimineller als der Rest der
Bevölkerung.
- Wir sind keine Nazis, wir sind nur besorgte Bürger
Das
stimmt grundsätzlich, denn das Gros der Demonstranten sind einfach
fehlgeleitete Opfer. Selbst die Organisatoren würde ich nicht als
Nazis bezeichnen, denn das wäre eine ungerechtfertigte Aufwertung.
Die sind einfach nur tumbe Rassisten, die dumme Ressentiments
bedienen und ihr Süppchen auf dem Feuerchen der latent in der
Gesellschaft vorkommenden Fremdenfeindlichkeit kochen.
Beschimpfungen
sind untauglich
Wenn
ich also die Demonstranten mehrheitlich als Opfer bezeichne, dann
stellt sich die Frage: Opfer von was? Wenn man mit ihnen Spricht, was
z.B. der NDR *1) getan hat – bevor die paranoide Führung von
PEGIDA ihren Leuten riet, mit der „Lügenpresse“ (das ist
übrigens ein Schlagwort aus der NPD-Szene) nicht mehr zu reden –
wenn man also mit ihnen spricht, kommt die Antwort: Es ist Angst.
Nächste Frage: Angst vor was? Zusammengefasst und ohne Bewertung,
ist es die Angst vor dem Verlust des eigenen Lebensstandards, die
Angst vorsozialem Abstieg, die Angst vor Armut oder Verarmung die aus
den Leuten spricht.
Da
nützt es nicht viel, wenn die Generalsekretärin der SPD davon
spricht, dass PEGIDA das „politische Klima“ vergifte (siehe
Anhang *4). Die Mongos z.B. sind gegen das extrem wirksame Gift von
Kobras immun… solange sie gesund sind. Übertragen auf unsere
Gesellschaft bedeutet das, dass sie schon ziemlich „schwach“ sein
muss, wenn ihnen dieses kümmerliche Giftchen der PRGIDA was anhaben
kann. Da kommt mir doch die Frage, wer für diese Schwächung
verantwortlich ist, liebe SPD-Generalsekretärin.
Vielleicht
die Politik, die sie seit 35 Jahren immer noch mit Inbrunst
vertreten, die sich aber nach all der Zeit größtenteils als für
das Volk (dem sie dienen sollen) als zumindest nachteilig oder sogar
schädlich erwiesen hat. Da ist es fast zynisch zu nennen, wenn sich
zwei Altkanzler (der erste der mit neoliberaler Politik anfing und
der letzte, der mit der Agenda 2010 allem den Hut aufsetzte…) vor
die Presse stellen und PEGIDA „scharf verurteilen“ und ihr in der
„Zeit“ (Zitat) "Dumpfe Vorurteile, Fremdenhass, Intoleranz“
vorwerfen (siehe Anhang *5).
Das ist ja nicht falsch, aber es ist nur die eine Seite der Münze –
auf der anderen Seite ist das Bild zweier Altkanzler der SPD.
Die
Konservative und die Liberalen in Deutschland sollten jetzt – ob
der SPD-Schelte – nicht in Selbstzufriedenheit zurück lehnen. Die
Kanzlerin mit ihrer Richtlinien-Kompetenz für die Politik der
Regierungen seit 2005 (!) erzeugt mit ihrer unsinnigen Sparpolitik –
nicht nur in Deutschland – so große soziale Spannungen, dass es
einen wundern muss, nicht noch mehr Rechtsradikale erleben zu müssen.
Da kann sich der CDU-Medien-Mehrzweckwaffe Bosbach hinstellen und so
lange er möchte davor warnen, die
PEGIDA-Demonstranten nicht pauschal als Rechtsextreme zu diffamieren
und dafür zu plädieren deren Ängste ernst zu nehmen (siehe Anhang
*6). Führt das zur Änderung der Regierungspolitik? Nein. Es werden
weiter die neoliberalen Rezepte angewendet.
Interpretation
wirklicher Hintergründe
Es
wäre allerdings zu kurz gegriffen, wenn man das lediglich als
deutsches Problem ansähe. Aus den „neoliberalen Quellen“ speist
sich Rechte Szenen in der gesamten EU, da es die Neoliberalisten
hauptsächlich aus D, Fund GB fertig brachten, der EU ein
neoliberalistisches Profil zu verpassen. Gleichzeitig wettern sie
gegen die EU, so dass die Menschen sich davon abwenden… vom
einzigen abwenden, das ihnen helfen könnte. Bravo.
Diese
selbsternannten Anwälte der “Kleinen Leute” auf, die einen
unterschwelligen Unmut aufgreifen und ihn auf jene lenken, die
eigentlich nichts dafür können, aber als Sündenböck so herrlich
funktionieren. Richtige Lösungen beruhen aber nicht auf Stimmungen,
sondern auf Analysen und den richtigen Schlussfolgerungen daraus. Die
interessante Frage ist nun: Aus welchen Quellen speist sich nun
dieser Unmut? Meine Antwort lautet: Aus einem Legitimitäts-Problem
des europäischen kapitalistisch/demokratischen Systems, das der
ureigensten europäischen Errungenschaft des Sozialstaats die
Funktion abwürgt.
Viele
Menschen spüren, dass es in unseren Gesellschaften total ungerecht
zugeht. Während Millionen Leute in prekären Jobs nicht die Butter
aufs Brot verdienen, stecken sich die sog. Eliten die Taschen voll.
Während das Bankensystem mit Billionen vor dem selbstverschuldeten
Kollaps gerettet wurde, bestraft man Arbeitslose mit Leistungsentzug,
wenn sie sich zu einem Termin im Amt verspäten; weintrinkende
lebenslang versorgte Hochschulprofessoren, predigen kleinen Leuten
das Wassertrinken (und diese professoralen Halunken, werden auch noch
von den von ihnen Verhöhnten hier auf dieser Plattform gelobt –
z.B. der Herr Sinn.
Natürlich
nehmen uns Ausländer die Arbeitsplätze ab: General Motors aus USA
schließt einen Standort in Bochum, obwohl dort Schwarze Zahlen
geschrieben wurden. Die Finnen von Nokia hatten vorher schon einen
ganzen Standort nach Rumänien verlegt, weil sie dort Subventionen
abgreifen konnten… die Reihe ließe sich sehr lange fortsetzen.
Nur, sich dagegen zu wehren ist nicht so einfach wie auf Immigranten
zu schimpfen und es hieße, sich gegen das System zu stellen. Das
würde sich das nicht gefallen lassen und schließlich die Gegner
eliminieren (man schaue aktuell nach Hongkong und frage sich, warum
der Westen nicht massiv protestiert... vielleicht hat man
Verständnis).
Fest
steht, dass der gesellschaftliche Verteilungsspielraum massiv zu
Ungunsten der arbeitenden Bevölkerung eingeschränkt wurde und dafür
das gesellschaftliche Produkt auf Wenige – von unten nach oben –
verteilt wurde. Die „soziale Mangelwirtschaft“, z.B. in Rente,
Gesundheit und Bildung, resultiert daraus. Und genau das ist die
Quelle des Unmuts: Die Ungerechtigkeit. Nur, um die zu beseitigen ist
es unsinnig auf Immigranten zu deuten. Es sei denn, es geht gar nicht
um die berechtigten Interessen der Menschen einer Gesellschaft und
man vertritt klammheimlich ganz andere Absichten. Dann, und nur dann,
macht die Sündenbock-Politik Sinn… und wer sich in diesem Wissen
vor den Karren einer PEGIDA spannen lässt, muss sich den Vorwurf
gefallen lassen ein politischer Rechtsaußen zu sein.
Widerstand
ist nicht zwecklos
Wenn
man mir bis hierhin folgte, dann möchte ich der Vollständigkeit
halber noch hinzu fügen, dass ich nicht so verstanden werden möchte,
nur eine Änderung der Großen Linien der Politik sei erforderlich…
natürlich ist jede Form des gesellschaftlichen Widerstands herzlich
willkommen. Ganz gleich ob dieser Widerstand religiös mit
(Nächstenliebe) oder säkular mit (Solidarität) für die
Schutzsuchenden aus Kriegsgebieten, für Hungerflüchtlinge oder für
politisch Verfolgte begründet ist, die Bilder dieses Widerstands
erzeugen zumindest die politische Wirkung, diesen Rechtspopulisten
den Zulauf zu verringern.
Mit
großer Abscheu nehme ich das Attentat auf Journalisten in Paris zur
Kenntnis und warne jetzt schon davor, dass das „Wasser auf die
Mühlen“ der Rechten sein wird, denen das Leid der Angehörigen
oder das Schicksal der Getroffenen mindestens egal ist; sie werden es
für ihre Zwecke instrumentalisieren. Klammheimlich werden sie sich
freuen, denn diese Kollegen haben auch immer satirisch/kritisch über
Rechts berichtet. Dass es möglich ist, nicht nur Bierernst, sondern
auch mit den Mitteln der Satire Widerstand zu leisten, zeigt auch die
Web-Seite von „PIGIDA:
Patriotischer Islam gegen die Islamisierung des Abendlandes“ die
sich mit dem Schlachtruf
„Gebt
den Christen das Abendland zurück!“ satirisch mit PEGIDA
solidarisiert und darauf aufmerksam macht, dass derzeit 2,2
Milliarden Christen auf der ganzen Welt leben, davon aber lediglich
ca. 500 Millionen in Europa. PIGIDA proklamiert: Das
Abendland gehört den Christen! Ihr seid das Volk! Wir nehmen 45
Millionen europäische Muslime zurück und schenken Europa 1,7
Milliarden Christen aus aller Welt! (siehe Anhang *7)
Also
Widerstand ist in jeder Form wichtig. Eine wesentlich wichtigere
Aufgabe kommt jedoch den Massenmedien zu. Es nutzt nur bedingt und
begrenzt, medial auf dieses Phänomen einzuprügeln. Natürlich muss
die Presse investigativ zu arbeiten ohne sich von den einschlägigen
Drohungen aus der Rechten Szene abschrecken zu lassen (siehe Anhang
*8), aber darauf darf sie sich nicht beschränken. Es ist
erforderlich, die neoliberal geprägte Mainstream-Berichterstattung
zugunsten einer „Berichterstattung der Aufklärung“ aufzugeben.
Die
Konservative hat es bedauerlicherweise fertig gebracht, dass in der
Öffentlichkeit die Meinung vorherrscht, die Presse allgemein sei
Links orientiert. Den Glauben an dieses
Märchen haben die Rechten aufgegriffen und daraus die Schlagworte
„Linken Presse“ oder auch „Lügenpresse“ kreiert. Wer das
weiterverbreitet, bedient auch die Rechtpopulisten. Verlage sind
kapitalistische Unternehmen und Zeitungen sind ihr Produkt… ich
kenne keinen linksradikalen Unternehmer; eher das Gegenteil.
Mit
freundlichen Grüßen
Wilfried
John
Anhang
*1) = NDR-Interviews mit Teilnehmern
Teil
II:
http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2014/Pegida-Die-Interviews-in-voller-Laenge,panorama5340.html
Anhang
*2) = Lebenslauf der PEGIDA-Organisators Bachmann
Anhang
*3) = Faktencheck über PEGIDA
Anhang
*4) = SPD-Generalsekretärin über PEGIDA
Anhang
*5) = Die Mit-Verursacher äußern sich einseitig
Anhang
*6) = Falsche Analyse führt zu falscher Regierungspolitik
Anhang
*7) = Satirischer Gegenvorschlag
Anhang
*8) = Drohungen gegen Journalisten
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